Doris


Aktive Rentnerin

„Ich kann keine 24 Stunden lang den gleichen Menschen um mich herum haben.“

Andrea: Wer bist du Doris?

 Doris: Ich war schon immer neugierig gewesen. Seit meiner Verrentung habe ich dazu noch mehr Lust. Ich war nie verheiratet. Ich habe zwar viele Frösche geküsst, aber nicht jeder davon hat sich als Prinz entpuppt. Das war oft von meiner Seite aus, aber nicht immer – ich bin auch schon so richtig belogen und betrogen worden. Ich schaue nicht zurück. Wenn ich nach vorn blicke, habe ich noch viele Erwartungen an mich. Ich habe eine Tochter – der Papa ist im 6. Monat auf und davon. Ich habe durchweg gearbeitet und dadurch wenig Zeit für meine Tochter.

Andrea: Du warst nie verheiratet? Ungewöhnlich für jemanden aus deiner Generation.

Doris: Ja, ich habe viele Partnerschaften gelebt. Die längste war nur sieben Jahre lang. Bis ich dann merkte, dass ich gar nicht mehr wahrgenommen wurde. Das war die letzte. Seit 2013 bin ich wieder Single. Das Ganze war eine Fernbeziehung und sehr kompliziert. Ich bin nicht einsam, aber ich habe in der Partnerschaft gemerkt, dass man auch zu zweit sehr einsam sein kann. Ich suche keinen Partner, den ich 24 Stunden um mich haben muss. Ich war schon immer ein Einzelkämpfer, aber ich glaube daran, dass noch irgendwo in Bayern oder auf der Welt ein Pendant zu mir herumläuft, das dann mein Leben ergänzt. Ich weiß nicht, was mein Leben noch so für Überraschungen für mich bereithält. (lacht) Ich bin dankbar für jeden Tag, an dem ich gesund aufwache und versuche den Tagen dann einen Sinn zu geben. The show must go on.

Andrea: Wie sieht dein Wunschpartner denn aus?

Doris: Ja, er sollte beweglich sein, sowohl körperlich als auch im Kopf. Vielleicht kein knubbeliger laufender Meter, sondern groß und schlank sollte er sein. Ich wünsche mir, dass er zuhören kann. Und wahrgenommen zu werden. Lachen und Weinen sollten wir zusammen können. Einen Sinn für Kultur sollte er haben. Ich möchte in Konzerte und Ausstellungen gehen. Ich liebe die Berge und vielleicht Ski fahren, warum nicht. Also bitte kein Pflegefall.

Andrea: Noch mal zurück zu deinen Liebschaften. Wie war das so?

Ja, war immer recht unstet, nicht die klassische 40-jährige Ehe, was wohl an meinem Erzeuger liegt. Den Namen Vater kann ich mit ihm leider nicht in Verbindung bringen – ich denke, es liegt an ihm. Zu ihm hatte ich ein sehr zerstörtes Verhältnis. Er war ein Patriarch ohne Background. Er war Prediger der Baptisten – alle haben meine Mutter beneidet, aber ich kannte die Wahrheit. Ich durfte meine Schule nicht beenden und musste früh mein Geld verdienen.  Ich hatte irgendwie eine anerzogene Scheu vor einer Bindung durch ihn. Meine Mutter hab ich immer gefragt, wieso sie sich nicht hat scheiden lassen. Der wäre doch in der Gosse gelandet, hat sie dann immer gesagt. Und so ein Leben wollte ich nicht führen.

Aber ich hatte mal einen aus Starnberg, einen Physikstudenten. Habe nächtelang mit ihm an der Uni Fliegenaugen seziert und seine Doktorarbeit geschrieben. Bei seinen Eltern sind wir ein – und ausgegangen. Über zwei Jahre lang. Dann waren wir nach der Promotion zum Essen verabredet  -wie so oft.  Und dann sagte er:“ ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein, eigentlich müsste ich auf meinen Polterabend“. Der hat ein Doppelleben geführt.

Dann war ich auch 10 Jahre lang Geliebte. Sogar mit Wissen seiner Frau. Das war sehr harmonisch, aber nach zehn Jahren wollte ich was anderes. Ich war jedes Wochenende allein. Und als sie dann mit mir auch befreundet sein wollte, habe ich das beendet. Aber mit ihm marschiere ich heute noch durch den Englischen Garten. Von seiner Frau sind die Knie kaputt. (lacht)

Und so habe ich fast alle Beziehungen über kurz oder lang beendet. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, einen Menschen so zu lieben, dass ich ihn 24 Stunden um mich haben kann. Ich möchte nicht vereinnahmt werden.

Andrea: Würdest du auch immer allein wohnen wollen?

Doris: Oh ja! Mein Kuschelhausen würde ich nie aufgeben mit all meinen Erinnerungen, um mich in eine Abhängigkeit zu begeben. Lass dem mal was passieren, dann habe ich gar nichts mehr. In meinem Alter trifft man solche Entscheidungen nicht mehr spontan. Also es muss jemand sein, der sein eigenes Leben führen kann und eigenständig ist.

Ich würde auch so niemanden einfach so in meine Wohnung lassen. Der Letzte wollte, dass ich nach drei Dates bei ihm auf einer Berghütte übernachten soll. Nix da. Viel zu früh.

Andrea: Welche Macken hast du denn, die der andere dann mitmachen müsste?

Doris: Naja meine positiven erstmal. Ich habe eine hohe Schmerzgrenze. Meine Schwester sagte mal: „ich wünsche dich jedem als Freund, aber nicht als Feind.“ Wenn ich mal jemanden gefressen haben – und da muss viel passieren – dann so richtig. Ansonsten… ich bin fröhlich, optimistisch und geduldig. Unpünktlichkeit hasse ich. Negativ: es muss ordentlich sein, darauf achte ich sehr. Manchmal bin ich ein bisschen impulsiv, aber ich bin schwer reizbar. (lacht)

Andrea: Was wünschst du dir in einem Jahr?

Doris: Ich wünsche mir einen Partner, mit dem ich Dinge teilen kann. Manchmal sehe ich Sachen und denke: Boah, schau mal! Aber da ist niemand, dem ich das erzählen kann. Einfach, dass man aufeinander aufpasst, sich einander entdeckt. Und es kann ja spannend sein, sich mit jemanden auseinander setzten. Seine Gedanken, Illusionen und Wünsche – vielleicht sind die deckungsgleich. Alles kann, nichts muss.

EIN JAHR später

Andrea: Wie geht’s dir und was hat sich bei dir in einem Jahr geändert? Natürlich in Bezug auf dein Singledasein.

Doris: Ich habe eine Mitgliedschaft bei Elitepartner gewonnen. Ein Horror, sag ich dir. Die Selbstdarstellung dieser Herren – da kann man sich nur an den Kopf greifen. Witziger weise – du wirst es nicht glauben – sind es meist jüngere Männer zwischen 40  und 60, die sich bei mir melden. Haben die einen Schatten? Was machen die mit einer Frau, die 74 Jahre alt ist? Was soll ich mit so einem jungen Spund? Mit dem weiß ich doch gar nichts anzufangen.

Andrea: Hast du mal nachgefragt, warum sie gerade dich ausgesucht haben?

Doris: Nein. Es kam zu ein paar Begegnungen, aber nach zwei Treffen hab ich dann schon gesagt: das ist nicht mein Niveau.

Andrea: Weil?

 

Doris: Wenn einer schon seine Muttersprache nicht richtig spricht und sich aber bei Elitepartner eintragen lässt, da denke ich: Hallo? Oder jemand, der am liebsten gleich bei mir einziehen möchte.

Andrea: Ja, da hast ja vergangenes Jahr schon gesagt, sowas kommt überhaupt nicht in Frage.

Doris: Ja genau. Also hier wird auch kein Mann einziehen. Ich brauche immer noch meinen Freiraum und meinen Rückzugsort. Ich kann keine 24 Stunden den gleichen Menschen um mich herum haben.

Andrea: Ja, im Alter glaube ich, macht man solche Sprünge wohl nicht mehr.

Doris: Ja. Ich hatte jetzt eine kurze Bekanntschaft. Auch über Elitepartner. 79 Jahre alt.  Da dachte ich: was für ein Greis. Ich meine, wenn ich ältere Herren sehe, dann meistens am Stock. Aber was soll ich mit denen. Da kann ich nicht wandern, kein Ski fahren und kein Radl fahren.

Andrea: Dann musst wohl doch auf einen Jüngeren zurückgreifen.

Doris: (lacht) Naja, er hat auf jeden Fall sehr niveauvoll geschrieben und hat echt mein Herz berührt. Dann wollten wir uns treffen und dann kam eine E-Mail, er habe die Befürchtung in meine privaten Events nur noch hineingeschoben zu werden. Eine E-Mail zuvor jedoch schrieb er, wie sehr er meine Unternehmungen bewundere. Ich meine, ich war jetzt auf den Malediven zum Tauchen, ich arbeite in einer Flüchtlingsunterkunft, ich gehe auf Konzerte und so weiter. Ja, ich bin viel unterwegs und hatte schlicht weg erstmal keine Zeit.

Andrea: Aber kann man sich denn nicht erstmal treffen?

Doris: Das habe ich ihm auch geschrieben. Ich schrieb: wieso belastest du unser erstes Treffen, bevor du mir gegenüber gesessen und in die Augen geschaut hast?

Andrea: Ist das denn jetzt beendet mit ihm?

Doris: Nein, bisher nicht. Ich schrieb ihm, was ich eigentlich persönlich sagen wollte. Wie mein Leben gerade ist, dass ich in meiner Wohnung bleibe und so weiter. Er dann so: ja wir fliegen und werden Reisen und unterwegs sein. Aber ich mach mich ungern von jemandem abhängig. Ich bin nicht mit irdischen Gütern gesegnet. Ich habe in der letzten Finanzkrise sehr viel Geld verloren. Deshalb habe ich auch kleinere Jobs als Leih-Oma oder als Komparsin. Das ist dann für meine Urlaubskasse. Eigentlich sind wir für diesen Mittwoch verabredet. Ich weiß nicht, ob das stattfindet. Ich rühre mich auch nicht mehr.

Andrea: Juckt es dich in den Fingern? Willst ihn nicht mal sehen?

 

Doris: Er ist schon interessant. Seine Sprache finde ich gut. Ich liebe die deutsche Sprache. Er ist fit, er macht Bergtouren wie ich und hat sich sogar bei Whats App angemeldet.

Andrea: Ja, dann nimm du doch die Zügel in die Hand. Der scheint ja ein Volltreffer zu sein.

Doris: Wenn er sich bis Mittwoch nicht meldet, schreibe ich ihm. Bis dahin hat er Zeit.

Andrea: Was ist, wenn er wieder absagt? Bleibst du bei Elitepartner?

Doris: Die einjährige Mitgliedschaft zieh ich durch. Wenn ich jemanden interessant finde, schreibe ich den ja auch an. Aber der jetzt hat mich angeschrieben. Ich befürchte nur, er denkt zu viel.

Andrea: Ich bin gespannt und melde mich nach dem Mittwoch noch mal bei dir. Ok?

Doris: Ja, mach das.

Nachtrag: Doris hat am Mittwoch eine E-Mail erhalten, in der ihr der 79-jährige Herr abgesagt hat, mit der Begründung. Er sei noch so fit, er suche sich eine jüngere Frau.