Amra


 Ihre Eltern sind vor 20 Jahren als Flüchtlinge von Jugoslawien nach Deutschland gekommen.

„Mit einer Frau an meiner Seite würde das nicht gehen. Sie würden mich so nie akzeptieren..“

Andrea: Bist du eine Randgruppe in der lesbischen Szene?

Amra: Ich würde schon sagen, dass ich anders bin. Wir Muslima sind sowieso schon eine Minderheit und in dieser Minderheit bin ich auch eine Minderheit. Zum einen, weil ich eine Schülerin bin, ich bin halt sehr jung, denn die meisten outen sich irgendwie erst, wenn sie mit beiden Beinen im Leben stehen und dadurch gefestigt sind, und natürlich wegen meines Glaubens. Zum anderen gehöre ich dem Islam an. Dadurch bin ich auch eine Minderheit.

Andrea: Lebst du deine sexuelle Orientierung offen?

Amra: Offen und nicht offen, wenn das überhaupt geht. In meinem Leben gehe ich sehr offen damit um. Wenn man mich danach fragt, stehe ich auch dazu, dass ich auf Frauen stehe. Innerhalb der Familie ist es nicht ganz so offen. Aber im Freundeskreis und in der Schule lebe ich offen als lesbische Frau.

Andrea: Wie „stark“ praktizierst du denn deinen Glauben?

Amra: Ich halte mich an die Grundprinzipien von „ein guter Mensch sein“. Das heißt: nicht lügen, nicht stehlen. Ich praktiziere meine Glauben vielleicht nicht so wie es vorgeschrieben ist oder Menschen denken, wie man den Glauben leben muss.  Sprich mit Kopftuch tragen, daheim bleiben und fünf Mal beten. Das mache ich nicht, aber ich glaube einfach an unseren Gott und an bestimmten Feiertagen gehe ich mit der Familie in die Moschee beten.

Andrea: Welche Reaktionen erlebst du, wenn du dich outest?

Amra: Wenn jemand erfährt, dass ich Moslem bin und auf Frauen stehe kommt als erstes diese Reaktion: „Aber wie jetzt, das dürft ihr doch gar nicht. Ja willst du dann keinen Mann heiraten? Was sagt deine Familie dazu? Würdest du dich dann gegen die Familie entscheiden?“ Meistens sind das solche Fragen oder auch Vorwürfe. Ich sei nicht religiös. Doch, das bin ich. Für mich schon. Die anderen sagen aber nein.  Sie denken, man könne die Liebe zu einer Frau nicht mit dem Glauben vereinen. Stimmt aber nicht.

Andrea: Was sind klassische Konfliktsituationen bei dir, denen du immer wieder begegnest?

Amra: Aktuell ist das in der Schule, wenn ich auf andere Moslems treffe. In meiner Klasse sind so sechs Hardcore Religiöse, die von sich behaupten, dass, wenn ihr Kind schwul wäre, sie es sofort umbringen würden.

Andrea: Wie reagierst du auf dies Vorwürfe nicht „richtig“ religiös zu sein?

Amra: Anfangs habe ich mich immer in so Diskussionen reinziehen lassen, aber mittlerweile denke ich, dass es die meisten gar nicht wert sind und ich lasse es einfach. Sie bleiben sowieso bei ihrer Meinung und wenn sie nicht bereit sind, diese zu ändern, dann haben sie nicht den Intellekt, es zu begreifen, auch wenn ich es ihnen 24 Stunden lang erklären würde.

Aber meisten sage ich dann, dass es nicht wichtig ist, ob du mit einem Mann zusammen bist oder einer Frau, Kopftuch trägst, fünf Mal am Tag betest, sondern dass es wichtig ist, ein guter Mensch zu sein. Dass das am Ende in der Religion zählt.

Andrea: Kannst du dein lesbisches Dasein rein faktisch mit den Grundregeln des Islam vereinbaren?

Amra: Der Koran ist ja eigentlich nur eine Weitergabe von kulturellen Dingen. Irgendwie auch Propaganda.  Meine Eltern haben mir beigebracht, dass es das Wichtigste ist, gut zu sein. Man soll anderen helfen und nicht lügen. Man soll sich um seine Eltern und seine Freunde kümmern. Man selbst steht an letzter Stelle.

Andrea: Wie ist das bei deiner Familie?

Amra: Meine Eltern wollen sich mit Homosexualität nicht auseinander setzen. Sie werden es nie akzeptieren, dass ich auch Frauen liebe und ich werde mich irgendwann entscheiden, ob ich den Weg mit meiner Familie gehe und ohne Frauen oder ob ich mit einer Frau leben werden und ohne Familie.

Andrea: Und woher weißt du das? Vielleicht reagiert sie ja doch anders?

Amra: Meine Mutter hat mich schon ein paar Mal drauf angesprochen, ob ich weiß, dass sowas nicht geht und ob ich weiß, was dann passieren würde. Die Trennung von der Familie. Daher bin ich mir sicher, dass ich mich irgendwann entscheiden muss.

Andrea: Also wenn ich frage, wie siehst du dich in 10 Jahren? Hast du eine Frau und Kinder?

Amra: Vielleicht bin ich eine Frau, die ein einen Mann und eine Familie hat, weil ich mich für die Familie entschieden habe. Das ist für mich durchaus eine Option, weil die Familie bei uns sehr weit oben steht und es das Wichtigste ist, was du in deinem Leben hast. Und ich weiß nicht, ob ich eine Frau irgendwann so liebe, dass ich alles, was ich habe, sprich meine Familie, aufgeben werde.

Andrea: Du hast eine Freundin. Was sagt sie dazu?

Amra: Sie weiß darüber Bescheid. Meine Familie hat meine Freundin aber bisher nur als „eine“ oder „beste“ Freundin kennengelernt. Wir können unsere Liebe nicht offen leben. Kein Küssen, kein Anfassen. Noch nimmt sie das auf sich. Ich hoffe irgendwie noch, dass sich meine Familie ändert. Ein paar in der Familie sagen, ich bin krank und das geht so nicht, wie ich mich verhalte. Wenn ich so genau darüber nachdenke, sind eigentlich alle dagegen.

Andrea: Wer hat das letzte Wort in der Familie?

Amra: Meine Mutter hat das letzte Wort. Mein Vater würde am Ende vielleicht noch ja sagen, denn er liebt mich. Ich bin seine kleine Prinzessin. Meine Mutter ist aber sehr religiös. Entweder ein Mann und die Familie oder gar nicht. Das klingt vielleicht auch nur so krass, weil die Familie bei uns einen ganz anderen Wert hat. In Deutschland gibt es Mutter, Vater, Kind. Ich aber habe an die 100 Cousins, mal übertrieben gesagt, aber man ist einfach eine riesige Familie. Jeden zweiten Abend ist man zusammen. Aber mit einer Frau an meiner Seite würde das nicht gehen. Sie würden mich so nie akzeptieren.

Andrea: Wie es für dich in Deutschland zu leben? Fühlst du dich hier freier?

Amra: Also wenn ich in meiner Heimat händchenhaltend durch die Straße mit meiner Freundin laufen würde, würde ich das wahrscheinlich nicht überleben. Die Verhältnisse dort sind sehr „russisch“. In allen alten kommunistischen Ländern ist Homosexualität ja generell nicht möglich.

Das heißt, einerseits ist es cool hier zu sein, weil ich hier die Freiheit habe und ich es hier ausleben kann, andererseits wäre ich in der Heimat geblieben, wäre ich wahrscheinlich gar nicht vor die Wahl gestellt worden. Viele haben zwar die sexuelle Orientierung, leben es aber nicht aus, weil sie es auch gar nicht kennen, weder aus den Medien noch bekommen sie es vorgelebt. Sowas gibt es dort einfach nicht.

Andrea: Wie präsent ist die Entscheidung zwischen deiner Freundin und deiner Familie für dich?

Amra: Ziemlich präsent. Ich denke da ständig dran. Aber ich verdränge das auch oft, da ich die Entscheidung noch etwas hinauszögern will. Ich wüsste nicht, was schwieriger ist als sich zwischen der Familie und der Zukunft mit einer Frau zu entscheiden. Ich weiß es grad überhaupt nicht.

Andrea: Was wünscht du dir für die Zukunft?

Amra: Ich wünsche mir, dass ich in zehn Jahren einfach glücklich bin. Egal wie, ob mit oder ohne Familie. Vielleicht kann ich mich daran gewöhnen. Es gibt viele Wege glücklich sein. Aber momentan bin ich froh, mich noch nicht entscheiden zu müssen.