Olena Semenova – 37 Jahre alt – Ukraine
Es war der zweite Pride überhaupt, der im Juni 2015 in Kiew stattfand. Rechtsradikale griffen die circa 300 Teilnehmer an. Es gab zahlreiche Verletzte. Abendveranstaltungen wurden abgesagt. Trotzdem und vor allem deshalb wird hinter den Kulissen weitergekämpft. Dafür, dass im nächsten Jahr ein neuer Pride stattfinden kann und mehr Sichtbarkeit. Kämpfen. Das klingt gleich so radikal und nach körperlicher Gewalt. Die geht jedoch meist von den Pride Gegnern aus. Die Aktivisten in der Ukraine kämpfen hingegen mit anderen Mitteln. Sport zum Beispiel. Das wird sich der eine oder andere fragen, wie das gehen soll?
Ich habe mit der Aktivistin Olena gesprochen, die seit knapp 10 Jahren für mehr Gleichberechtigung in ihrem Land kämpft. Den Kampf bestreitet sie u.a. mit Kettlebells.
Andrea: Würdest du dich selber als Aktivist bezeichnen?
Olena: Ich kann ohne den Aktivismus nicht leben. Also ja. Es ist mein Lebensinhalt. Ich liebe es und ich fühle immer wieder, dass unsere Community das braucht. Ich bin seit 1996 dabei. Angefangen habe ich in einem ukrainischen Gay Magazin. Seit dem hat sich zwar die Anzahl der Mitstreiter verdoppelt, aber es gibt viel zu wenige Aktivistinnen in der Ukraine.
Andrea: Warum?
Olena: Es ist einfach gefährlich. Nach dem ersten Pride 2013 gab es viele schlimme Verletzte. Man hat uns durch die Bezirke Kiews gejagt.
Andrea: Wie ist die lesbische Situation für lesbische Frauen in deinem Land?
Olena: Ich organisiere den Kiew Pride jedes Jahr und viele andere Community Projekte. Die Frauenbewegung ist in Kiew viel schlechter finanziert als die Schwulenbewegung. Die lesbische Szene ist in Kiew so gut wie nicht existent. Wir hatten z.B. keine feministische Bewegung so wie in Deutschland. Hier gab es die Feministen und dann die Lesben. In der Ukraine gab und gibt es das nicht. Das macht es ziemlich schwierig. Aber ich versuche aus der ganzen Ukraine die Frauen zusammen zu bekommen. Zum Beispiel auf einem großen Festival. Und wenn mir das gelingt, ziehe ich daraus sehr viel positive Energie. Denn die Frauen gehen nach Hause in ihre Region, in ihre kleine Community und verbreiten das, was sie bei dem Festival gesehen und gelernt haben. Stück für Stück.
Andrea: Wo wohnst du eigentlich? In München oder Kiew?
Olena: Eigentlich wohne ich in drei Ländern. In Slowenien habe ich eine Fitnessfirma, in Kiew arbeite ich viel an den Community Projekten und ich bin auch viel München, um ihr die Zusammenarbeit mit Kiew zu stärken.
Andrea: Und wie genau machst du das?
Olena: Mit Kettlebells *. Meine Idee ist es, die Leute durch Sport zum politischen Kampf zu aktivieren. Eigentlich ist das ein Wiederspruch, ich weiß. Die, die sich für Politik interessieren tun das selten auch für Sport und andersrum. Aber ich habe es anders erlebt hier in München. Ich habe angefangen eine Kettlebell Gruppe zu trainieren und wenn das Training fertig war, haben sich die Leute angefangen zu unterhalten und sie haben sich angefangen für meine politischen Themen zu interessieren und viele haben angefangen in der Community aktiv mitzuarbeiten. Ich will bis zum Ende des Jahres damit weitermachen und das in München funktioniert, soll das Projekt auch in Kiew umgesetzt werden. Außerdem kann ich so meine beiden Leidenschaften miteinander verbinden. Das ist mein Traum. Ich kann Sport machen und politisch aktiv sein.
Andrea: Du hast gesagt, das Aktivistenleben ist nicht ungefährlich in Kiew. Wie schützt du dich?
Olena: Auch durch den Sport. Ich bin stärker und bin schneller. In Situationen, bei denen ich körperlicher Gewalt ausgesetzt bin, kann ich mich besser schützen. Aber ich merke vor allem, dass es mir im Kopf hilft. Er macht mich geduldiger und mich psychisch stärker. Man sieht die Welt ein bisschen anders mit Sport und das hilft mir sehr als Aktivistin.
Andrea: Was wünscht du dir?
Olena: Ich wünsche mir, dass viel mehr Leute mitmachen, uns in der Ukraine zu unterstützen. Wir brauchen nämlich unbedingt Hilfe aus dem Ausland. Vor allem auch durch die Parteien. Wenn die nämlich auf die Probleme bei uns aufmerksam machen, dann wird der Druck auch auf die Parteien in der Ukraine erhöht und sie müssen reagieren. Und zum anderen ist es so, dass die eine Community die andere unterstützt. So wie die Community in München uns hilft, helfen wir ihr und da kommt der Sport wieder ins Spiel. Dadurch werden die Ideen gut verteilt. Für die lesbischen Frauen in der Ukraine ist es wiederum wichtig zu sehen, was alles möglich ist und wie frei man sein kann. Hier in München gibt es eine Stelle im Rathaus, die für Schwule und Lesben da ist – das ist unglaublich. Wir haben nicht mal ein Versammlungsrecht in der Ukraine.
Andrea: Dürft ihr nicht auf die Straße gehen?
Olena: Doch, dürfen wir schon. Theoretisch haben wir das Recht, aber nicht praktisch. Wird die Versammlung über LGBT angemeldet, bekommen wir keinen Polizeischutz. Man sagt uns dann, dann geht doch nicht auf die Straße und alles ist gut. Aber das geht nicht. Wir müssen sichtbar sein für die Regierung, damit sich endlich die Dinge ändern.
* Kettlebell: Kettelbells sind Kugelhandelt und werden vorrangig im Kraftraining eingesetzt. Eine Hantel besteht aus einer Kugel mit einem festen Griff.